Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Impuls zum fünften Fastensonntag / 21. März 2021

Das Vater Unser, ein zentrales Element unseres Glaubens. Ein Gebet, das wir ein Leben lang beten. icherlich können auch Sie sich gut daran erinnern, wie Ihre Mutter, Ihr Vater, Oma oder Opa diese Zeilen mit Ihnen gebetet haben. Solange, bis sie in Fleisch und Blut übergingen und fest in Ihrem Kopf verankert waren. In meinem Fall war es meine Mutter, die Abend für Abend mit mir betete, und ich erinnere mich genau, wie stolz ich war, als ich – noch ohne lesen oder schreiben zu können – endlich im Gottesdienst „mitmachen“ konnte. Ich habe die Zeilen des Gebets wenig hinterfragt, denn die waren „halt schon immer so“ – doch über den einen Vers bin ich oft gestolpert: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Das passte damals und passt auch heute einfach nicht zu den Werten, die ich mit meinem Gott und dem katholischen Glauben verbinde. Wieso sollte Gott, ein gerechter Gott und liebender Vater, uns in Versuchung führen?

Nun ging meine Neugier damals aber nicht so weit, dass ich aktiv nach einer Antwort gesucht hätte. Diese bekam ich dann praktischerweise in der 10. Klasse auf dem Silbertablett serviert. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen aussieht, aber ich muss zugegeben, dass ich mich nicht mehr an den Inhalt besonders vieler Schulstunden erinnere. Diese eine ist mir aber sehr im Gedächtnis geblieben. Insbesondere, da Papst Franziskus einige Jahre später zu eben genau diesem Vers eine Debatte anstieß, in der er zu demselben Ergebnis kam, wie meine Klassenkameraden und ich damals im Religionsunterricht. Ein liebender Vater stellt seinen Kindern keine Falle. Er legt ihnen keinen Hinterhalt oder führt sie in Versuchung. Gott, unser Vater, kämpft für uns, nicht gegen uns. Papst Franziskus gibt zu bedenken, dass der griechische Originalausdruck der Evangelien schwer exakt zu übersetzen ist und alle modernen Übersetzungen ein bisschen humpeln. Er sagt: „Wie auch immer man den Text versteht, wir können ausschließen, dass es Gott wäre, der die Versuchungen auf dem Weg des Menschen auslöst.“ Vielmehr gibt es in unserer Welt viele Versuchungen, viel Böses: Kriege, Machtmissbrauch, Korruption und Menschenhandel, aber auch Eifersucht, Missgunst und Ungleichgewicht – und in dieser Welt schenkt unser Gott uns die Freiheit. Freiheit, Tag für Tag Entscheidungen zu treffen, Wege zu wählen, unseren Weg zu beschreiten. Papst Franziskus bezeichnet es als „den Kampf zwischen unserer Freiheit und den Einflüsterungen des Bösen“.

Somit ist es nicht Gott, der uns in Versuchung führt, sondern vielmehr Gott, der uns in der Versuchung führt. Gott, der uns durch die Versuchungen des Lebens manövriert. Gott, der uns nicht in Versuchung geraten lässt, und Gott, der uns ggf. auch aus der Versuchung herausführt. Gott, der uns vor Bösem rettet und von Bösem erlöst.

Während im Spanischen seit je her „no nos dejes caer en la tentación“ – „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ gebetet wird, wurde in der französischen Bischofskonferenz im Jahr 2017 (bzw. 2018 in der französischen Schweiz) eine Anpassung des Vater Unsers beschlossen. Statt „Ne nous soumets pas à la tentation“ – „Führe uns nicht in Versuchung“ oder wörtlich “Unterwirf uns nicht der Versuchung”, beten unsere französischsprachigen Nachbarn nun “Ne nous laisse pas entrer en tentation“- “Lass uns nicht in die Versuchung eintreten/geraten“. Und auch die Italiener haben sich der Bewegung angeschlossen. Hier wird seit November 2020 statt „e non ci indurre in tentazione“ -“Führe uns nicht in Versuchung“, “Non abbandonarci alla tentazione”. “Lass uns nicht in Versuchung geraten“ oder “Lass uns nicht in der Versuchung allein“ gebetet.

Um es nochmal in Papst Franziskus Worten zusammen zu fassen: „Wenn (…) der Mensch einen Augenblick der Prüfung durchmacht, dann wacht Gott! In den hässlichsten Momenten unseres Lebens, den leidvollsten, ängstlichsten Momenten wacht Gott mit uns, er kämpft mit uns, er ist uns immer nahe. Und warum? Weil er Vater ist. So haben wir ja mit dem Gebet angefangen: Vater unser! Er ist ein Vater, der seine Kinder nicht im Stich lässt.“

Eine schöne Woche wünscht Ihnen Lucia Kottmann

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