Von Gott gewollt sind alle

Andrea Kett schreibt in der AZ-Kolumne „Andererseits“ am 20.12.2017

Über die Antoniusstraße wird im Moment viel geredet und gestritten: Kann das Rotlichtmilieu in die städtebauliche Entwicklung des „Altstadtquartiers Büchel“ integriert werden? Soll ein zentrales Laufhaus entstehen oder muss das „älteste Gewerbe der Welt“ in einen Außenbereich verlagert werden? Welche Rolle spielen dabei die Interessen von Investoren und Immobilienmaklern?

Wer denkt bei all dem Hickhack eigentlich an die Frauen, die dort arbeiten? Die Menschenrechts- und Hilfsorganisation SOLWODI – die Abkürzung steht für „Solidarity with women in distress“ (Solidarität mit Frauen in Not) – die seit einem Jahr direkt in der Antoniusstraße eine Beratungsstelle betreibt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Prostitution tätigen und von Menschenhandel betroffenen Frauen beizustehen, ihnen medizinische und rechtliche Hilfe zukommen zu lassen und sie beim Ausstieg aus der Prostitution zu unterstützen. Zusammen mit Kooperationspartner/innen aus dem Frauennetzwerk Aachen setzt sich SOLWODI auch politisch dafür ein, dass die Frauen nicht nur als Opfer von sexueller Ausbeutung und Gewalt und als Spekulationsobjekte im Rahmen der Stadtentwicklung wahrgenommen werden, sondern als Menschen mit einer unantastbaren Würde.

In diesen letzten Tagen vor Weihnachten ziehen Mitarbeiter/innen von SOLWODI und des Referats Weltkirche des Bischöflichen Generalvikariats mit einem vollbeladenen Bollerwagen durch die Antoniusstraße und verteilen liebevoll verpackte Geschenke an die dort arbeitenden Frauen: duftende Bodylotion, selbstgebackene Plätzchen und Zettel, auf denen weihnachtliche Gebete in ihren vielfältigen Muttersprachen abgedruckt sind, Rumänisch, Bulgarisch, Albanisch, Spanisch, Englisch und Französisch. Sie geben den Frauen, die größtenteils ohne Familie hier in Aachen leben müssen und deren Feiertagsgestaltung von weihnachtlicher Idylle weit entfernt sein dürfte, gerade in dieser emotional hoch aufgeladenen Zeit das Gefühl von Zugehörigkeit und Wertschätzung. Sie setzen damit ein Zeichen für das, was Weihnachten im tiefsten Sinne bedeutet: Gott gibt uns Anteil an seiner göttlichen Natur, indem er Mensch wird. Das ist der Angelpunkt der Menschenwürde. Ob Frau oder Mann, schwarz oder weiß, Christ oder Nichtchrist, Akademiker oder Prostituierte, jeder und jede ist bedingungslos von Gott gewollt und angenommen.

Andrea Kett
Bischöfliches Generalvikariat Aachen
andrea[.]kett[at]bistum-aachen[.]de

Foto: rauter25, Reeperbahn, (cc by-nc 2.0)/ flickr.com

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