Eine große Aachenerin kehrt heim

Überführung der sterblichen Überreste von Mutter Clara Fey
in den Aachener Dom am 1. September 2012

Von Weihbischof Dr. Johannes Bündgens

Aachen, die katholische Musterstadt Deutschlands? Jedenfalls fühlte man sich hier so im 19. Jahrhundert und wurde auch von außen so gesehen. Denn die Erneuerung der Kirche in Deutschland nach 1815 vollzog sich von den Rändern her. Anders als die Universitäts- und Residenzstädte auch der katholischen Regionen Rheinland und Bayern war Aachen weitgehend unberührt geblieben von säkularen Strömungen wie Rationalismus und Aufklärung. Der Katholizismus war hier noch ganz von den alten Orden, v. a. Jesuiten und Franziskanern, geprägt. Die Priesterausbildung geschah in der Tradition der Trienter Gegenreformation, ohne Zeitgeisteinflüsse wie den des ansonsten in der Theologie damals vorherrschenden Hermesianismus. Die Nachbarschaft mit dem 1830 neu entstandenen Staat Belgien, der ganz katholisch geprägt war und wo die Kirche sich frei entfalten und als bestimmende Kraft in der Gesellschaft profilieren konnte, gab den Aachener Katholiken ein so starkes Selbstbewusstsein. 

Die Geburtsstunde des neuen, sozial wachen Aachener Katholizismus irgendwann zwischen 1815 und 1848 lässt sich nicht genau bestimmen, wohl aber der Geburtsort. Es war kein Dom und kein Bischofshaus, keine Kirche und keine Akademie, sondern ein Privathaus: die Wohnung der Eheleute Louis und Katharina Fey in der Bendelstraße. Hier trafen sich in einer Atmosphäre herzlicher Gastfreundschaft wache Pfarrer, Kapläne und Laien, um die Zeichen der Zeit, d.h. damals der Industrialisierung und des Pauperismus, im Licht des Evangeliums zu deuten und die katholischen Kräfte für eine gerechte und menschliche Ordnung der Gesellschaft zu mobilisieren.

Clara Fey, geb. 1815, war das vierte der fünf Kinder der Eheleute Fey. Als Kind und Jugendliche hat sie also die katholische Erneuerungsbewegung in ihrem Elternhaus ganz hautnah miterlebt und in diesem Geist 1844 die Genossenschaft der Schwestern vom armen Kinde Jesus gegründet. Die Bildungsarbeit ihrer Kongregation war genau die Antwort, die die notvolle Situation der bildungsfernen Kinder, besonders der Mädchen, erforderte. Sie nahm einen enormen Aufschwung; an unzähligen Stellen sprossen Schulen, Kindergärten und Internate aus dem Boden. Eine Generation später mussten die Schwestern jedoch unter dem Druck von Bismarcks Kulturkampf gegen die Kirche, besonders gegen ihre Bildungsarbeit, aus Preußen weichen. Viele Schulen wurden geschlossen. Clara Fey ließ sich nicht entmutigen und schuf in Simpelveld jenseits der niederländischen Grenze eine neue Basis. Dort verstarb sie 1894. 1934 wurden ihre Gebeine in einem Grabmal im Innern der Klosterkirche von Haus Loreto beigesetzt.

Im Zuge der aktuellen Veränderungen werden die Schwestern das Kloster in Simpelveld aufgeben und stärker wieder an ihrem Ursprungsort Aachen präsent sein. Auch die Gebeine der Gründerin Clara Fey kehren zurück. Bevor sie ihre endgültige Bleibe in Aachen finden, werden sie übergangsweise in der Gruft des Domes aufbewahrt. Die Überführung dorthin ist am Samstag, 1. September 2012, um 9:00 Uhr.

Für Aachen ist das ein besonderer Freudentag; denn Clara Fey war eine der ganz großen und mutigen Frauen unserer Stadt und unseres Bistums.

Herzlich willkommen, Clara Fey, zurück in Aachen!

 

Bischof Klaus Hemmerle (+ 1994) ging bei verschiedenen Anlässen auf Clara Fey ein. Besonders in Erinnerung sind zwei Beiträge aus den letzten Monaten seines Lebens.

1) Im Jahr vor seinem Tod schrieb er die Meditationen für das Pastoralblatt nach Motiven aus dem Johannesevangelium. Zum Kapitel 15 in den Abschiedsreden erinnert er sich an eine Reise in unser Partnerland Kolumbien:

„Mich machte im lauten und unsicheren Gewoge der Großstadt Bogotà das Kleid der Schwestern vom armen Kinde Jesus betroffen. Auf ihrem Brustkreuz ist zu lesen: Manete in me – Bleibet in mir! Das Johannesevangelium kann uns insgesamt erscheinen wie eine lebendige Theologie des Bleibens und Wohnens: das gegenseitige Bleiben von Vater und Sohn ineinander, in Jesus bleiben, wie der Rebzweig im Rebstock bleibt, im Wort bleiben, einander Lebensraum einräumen. Das Wort auf dem Habit der Clara-Fey-Schwestern mitten in der Großstadt zeigt uns eine Spur. „Bleibet in mir“! – das kann mit uns gehen, wohin wir gehen. Mutter Clara Fey war ganz und gar orientiert auf den Dienst an Jesus in den Kleinen und Geringen; aber sie hat darin eine nicht nur aktive, sondern zugleich kontemplative Berufung entdeckt. Nur diese „innere Raum“ ließ sie und die Ihren Wohn- und Bleiberaum eröffnen für die ortlosen, ausgesetzten Kinder. Bei Jesus bleiben, in ihm bleiben, in den tausend Funktionen und Abläufen, die uns jeder Tag zumutet, ist auch für uns der Ansatz, um einen Ort zu finden und anderen anzubieten, an dem Leben möglich ist.

 

2) In seinem letzten Weihnachtsbrief (1993) an die Ordensleute schreibt er:

Am 2. Februar 1844, also vor 150 Jahren gründete Clara Fey in unserer Bischofsstadt die klösterliche Gemeinschaft der Schwestern vom armen Kinde Jesus. Am Pfingstfest 1852 meditiert Mutter Clara über den Bibelsatz: „Sie verharrten einmütig im Gebet.“ Sie führt dazu aus: „Von den ersten Christen lesen wir, dass alle nur ein Herz und eine Seele waren. Als später einige lasterhafte und ketzerische Menschen die Kirche beunruhigten und dadurch diese äußere Einmütigkeit unmöglich machten, pflanzte sich dieselbe in den Klöstern fort. Es ist die Aufgabe der Klöster, die ersten Christengemeinden nachzuahmen. Von ihnen heißt es: ‚Was einer wollte, das wollten alle; was dem einen gehörte, war der Besitz aller; ohne Eigennutz suchten alle das Gemeinsame.’ So sollen auch wir uns untereinander lieben; jede Schwester sollen wir lieben wie uns selbst; was wir für uns wünschen, das sollen wir für alle begehren.“

Die Ur- und Zielgestalt von Kirche, wie sie uns deutlich in der Apostelgeschichte und im Johannesevangelium begegnet und wie sie sich auch in der Vorstellung der geschwisterlichen Kirche bei Matthäus (18 und 23) und an vielen Stellen der Paulusbriefe spiegelt, ist im Verlauf der Geschichte verdunkelt worden. Nun entdeckt Clara Fey eine kostbare „Strategie Gottes“: Er ersann gewissermaßen die gemeinschaftliche Lebensform der Orden und trug ihnen für die Kirche im Ganzen dieses sein „Lieblingserbe“ auf: „Lass alle eins sein, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, damit die Welt glaube.“ (Joh 17,21)

Ich empfinde es als Bahn brechend, dass Mutter Clara Fey dieses Grundmotiv der Einheit aus gegenseitiger Liebe über die einzelnen Ordenskommunitäten hinaus ausdehnt auf das gegenseitige Verhältnis der Orden. Sie sieht in deren Mannigfaltigkeit ein Geschenk. Sie zieht daraus die Konsequenz und wünscht sich von ihren Schwestern, sie mögen die anderen Orden mit ihrer je besondere Berufung und ihrem je besonderen Auftrag höher achten als den eigenen, aber ihre besondere Liebe dennoch dem eigenen zukommen lassen als dem Ort, an den Gott sie hingestellt hat. Ich frage mich, ob nicht Gott gerade dies als Zeugnis der Orden in unserer Zeit erwartet: eine Weggemeinschaft, welche die Unterschiedlichkeit der Gaben und Berufungen nicht auslöscht, sondern ins Licht hebt, eine Bemühung um konkret gelebte Modelle liebenden Einsseins in den Kommunitäten, aber auch zwischen den Orden, im gemeinsamen Zeugnis der Ordenschristen inmitten unsere Kirche und Welt.

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