Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen

Letzter Foillan+reiz

Am 11. Dez. endete vorerst unsere Veranstaltungsreihe „Foillan+reiz“ mit der wir eingeladen haben, an den einzelnen Abenden jeweils ein Detail unserer Kirche St. Foillan (neu) zu entdecken. Dr. Hermann-Josef Beckers, Heinz Goldschmidt und Elaine Rudolphi haben für diesen Anlass kurzweilige und tiefsinnige Betrachtungen und Präsentationen mit Bildern und Musik entwickelt. Ihnen sei an dieser Stelle ganz herzlich für diese liebevolle und aufwändige Gestaltung gedankt. Heinz Goldschmidt beschloss mit der folgenden Betrachtung die Reihe, die zeigt, dass es in unseren Kirchen noch viel zu entdecken gibt.  

 

Liebe Freunde unserer Kirche St. Foillan,Ich habe dem heutigen Abend den Titel gegeben: „Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen.“ Nun wäre ja zu erwarten, dass ich über die Stelle des Lukas-Evangeliums spreche, nach der Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus nach Jesus fragen lässt und Jesus seinen Boten die eben zitierte Antwort gibt. Das wäre ein klassisches adventliches Thema. Aber ich habe mir für heute etwas anderes überlegt und werde dann zum Schluss noch einmal darauf zu sprechen kommen.

Wir sind heute als kleine eingeschworene Gruppe hier zusammengekommen, um uns Gedanken über irgendein Detail aus dieser Kirche zu machen. Seit Jahren wird ein solcher Abend jeden Monat veranstaltet, und nun haben sich diejenigen, die diese Abende jeweils vorbereiten und durchführen, dazu entschlossen, die Reihe mit dem heutigen Abend vorläufig zu beenden. Ob wir irgendwann in Zukunft diese Praxis  wieder aufnehmen, sei dahingestellt. Aber lassen Sie mich zunächst einmal zusammenfassen, was wir in den vielen Zusammenkünften alles beleuchtet und betrachtet haben.

1. Da ist die geschnitzte hölzerne Figur des Schmerzensmannes („Ecce Homo“) aus dem 16. Jahrhundert im Eingangsbereich der Kirche, der Künstler ist nicht bekannt.

2. Wir haben anhand der Säulenstümpfe an der nördlichen Seitenwand die Zerstörung der Kirche am Osterdienstag des Jahres 1944 nachempfunden.

3. Der von Leo Hugot in der zweiten Hälfte der 50er Jahre wiederhergestellte Teil der Kirche zeigt sich in der gewagten Neukonstruktion des Mittel- und des nördlichen Seitenschiffes; Erich Stephany hat den berühmten Ausspruch getan: „Es gibt drei Arten von Gotik: die Hochgotik, die Neugotik und die Hugotik“.

4. Die 4 Chorfenster haben wir betrachtet. Wilhelm Buschulte hat sie im Jahr 1958 neu gestaltet; von links nach rechts stellen sie dar: Jakobs Traum von der Himmelsleiter, die Zerstörung Babylons, das Neue Jerusalem mit dem Thron des Lammes und die himmlischen Heerscharen auf den weißen Pferden.

5. Der von Klaus Iserlohe 1966 aus Blaustein geschaffene Ambo zeigt in vielen kleinen Reliefszenen Höhepunkte der Heilsgeschichte aus dem Alten und dem Neuen Testament.

6. Auch das Blaustein-Taufbecken hat Iserlohe 1968 hergestellt, es zeigt Bilder von Wasser, Feuer und Schlangen und verweist damit auf den Übergang vom Alten zum Neuen Bund durch die Taufe.

7. Auch die mitten im Taufbecken stehende Bronzesäule von Iserlohe zeigt in zwölf Reliefs die Verflechtungen der Heilsgeschichte vom Alten zum Neuen Testament und mit der Osterkerze die Symbolkraft von Feuer und Wasser.

8. Wir haben die Installation der neuen alten Klais-Orgel verfolgen dürfen und uns vom Spezialisten der Firma Weimbs die komplizierte Technik und die Klangvielfalt zeigen lassen.

9. Das von August von Brandis vor über 100 Jahren geschaffene große Wandbild der Hochzeit zu Kana im linken Seitenschiff hat uns Einblicke gezeigt in die Gestalt Jesu und die vielen unterschiedlichen Charaktere der feiernden Menschen.

10. Ebenfalls von August von Brandis stammt das große Bild über dem Taufbecken mit dem Thema der Grablegung Jesu, es bringt die bedrückende Atmosphäre des Geschehens zum Ausdruck.

11. Das große Bild über der Sakristeitür stellt die Madonna mit dem Kind dar und ist 1649 von Abraham Campenhout, einem Schüler Peter Paul Rubens, gemalt worden.

12. Der von Klaus Iserlohe 1962 gestaltete Altar aus Granitgestein erzählt uns in 32 Relief-Szenen viele Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament.

13. Das über dem Altar schwebende Altarkreuz aus Bronze vom Goldschmied Egino Weinert von 1962 zeigt in filigranen Email-Darstellungen auf der einen Seite die Kreuzigungs-Szene und auf der anderen Seite das Lamm Gottes.

14. Eines der wertvollsten Kleinode unserer Kirche ist die Strahlenkranz-Madonna, die sog. „Schöne Madonna von St. Foillan“ im südlichen Seitenschiff, eine Holzschnitzerei eines unbekannten Künstlers aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts.

15. Der Tabernakel auf dem Altartisch des Seitenschiffs in Form eines Oktogons, also eines Achtecks, ist auch von Egino Weinert geschaffen und von ihm mit 8 Platten aus Zellenschmelz, einer Art Email, versehen worden, die Szenen aus dem Leben Jesu darstellen.

16. Hinter dem groben Gitter neben dem Seitenaltar verbirgt sich in einer ursprünglich als Sakramentshäuschen genutzten Nische die im späten 16. Jahrhundert aus Holz geschnitzte Figur eines Bischofs und Märtyrers eines unbekannten Künstlers. Mit einiger Sicherheit wird angenommen, dass es sich dabei um den Patron unserer Kirche, den Hl. Foillan, handelt.

17. Wir waren mehrere Male im Totenkeller der Kirche, zuletzt mit einer beeindruckenden Messfeier, und haben uns jedes Mal von der besonderen Atmosphäre und der wechselvollen Geschichte dieses ungewöhnlichen Raumes beeinflussen lassen.

Wenn ich mich richtig erinnere, waren dies die wichtigsten Details, die wir im Laufe der Foillan+Reiz-Serie betrachtet haben. Wir könnten uns noch weitere Sehenswürdigkeiten in und an St.Foillan vornehmen, z. B. den Turm, das Dach von innen und außen, die äußere Fassade, das Bild der Schwarzen Madonna, die Figuren des Hl. Judas Thaddäus und des Hl. Antonius von Padua, das Beichtzimmer mit seinen ausgestellten Schätzen, den Kreuzweg, das Vortragekreuz, die Seitenschiff-Fenster und das große Fenster im Westen über dem Eingang. Mit den bisher behandelten Themen haben wir uns, so bin ich sicher, mit unserer Gemeinde- und Pfarrkirche sehr viel mehr vertraut gemacht. Und hier möchte ich auf mein anfangs erwähntes Thema zurückkommen. Was bedeuten uns alle diese plastischen Darstellungen in dieser Kirche? Wie kommt es, dass wir entweder auf Anhieb oder nach einer hoffentlich verständlichen Erklärung auf einmal dahinter kommen, was diese Bilder ausdrücken wollen? Seitdem es solche Bilder in Kirchen gibt, entdecken die Menschen bei der Betrachtung ohne Worte jeweils eine Erzählung darüber, wie intensiv die lange Beziehung zwischen Gott und den Menschen sich entwickelt hat. Im Mittelalter konnte kaum jemand lesen oder schreiben. Außer durch sehr seltene Predigten wurde die Verkündigung des sog. Wortes Gottes hauptsächlich durch Bilder verbreitet, deshalb nannte man diese Bilder auch „Biblia pauperum“, auf deutsch: „Bibel der Armen“. Und wenn die Menschen einmal eine Geschichte aus dem Alten oder dem Neuen Testament vernommen hatten, dann verstanden sie  den Inhalt von Bildern und Figuren ohne Worte, d. h. auch ein Tauber hätte diese Bilder „hören“ können. Und wenn jemand beim ersten Anblick eines Bildes nichts verstand, dann war er praktisch blind, dann brauchte er einen Dolmetscher, der ihm jedes Detail erklärte, bis ihm die Augen geöffnet wurden.

Und so ist es im Prinzip bis heute geblieben: Wir alle haben mehr oder weniger die Bibel gelesen oder erzählt bekommen. Wenn wir dann in oder an einer Kirche die vielen Darstellungen betrachten, so lesen wir wie in einem Buch. So sehen wir, wo wir vorher blind waren, und wir verstehen, auch wenn wir taub sind, und uns wird in diesen Bildern versprochen, dass wir unseren Weg zu Gott gehen werden, obwohl wir jetzt oft fußlahm sind.

„Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen.“

 

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