Jürgen Maubach schrieb in der AZ-Kolumne „andererseits“ vom 13.09.2018:
Chemnitz, Köthen sind weit weg. Räumlich ja, aber was ist, wenn hier in Aachen eine schwere Straftat eines Flüchtlings bekannt wird. Geht der „Volkszorns“ dann auch bei uns gegen die verfehlte Flüchtlingspolitik auf die Straßen? Schaffen es die Anhänger eines rechten Weltbildes auch hier im Westen, die zu mobilisieren, die mit den Verhältnissen in Deutschland unzufrieden sind? Würde es auch hier zu Auseinandersetzungen zwischen denen kommen, die die Migration für die „Mutter aller Probleme“ halten und denen, die für eine offene, moderne Gesellschaft eintreten? Ich sorge mich um den Tag, wo in der Reihe Chemnitz, Köthen auch Aachen auftaucht.
„Die Flüchtlinge sind schuld.“ Die Masse erreicht man mit Vereinfachungen, hier wie anderswo. Da sind Sündenböcke ganz hilfreich. Wer nur ein wenig weiterdenkt, erkennt, dass sich mit Abschottung die Herausforderungen unserer Zukunft nicht lösen lassen.
„Dann lieber Fluchtursachen bekämpfen, dann bleiben sie wenigstens, wo sie sind.“ Aber das Bekämpfen von Fluchtursachen betrifft ja nicht nur korrupte Despoten und weltweit operierende Großkonzerne, sondern am Ende auch mich und meinen Lebensstil: meinen Fleischhunger, meinen Kaffeekonsum, meine Billigjeans, meinen Rohstoffverbrauch im 30. kleinen Elektrogerät. Deswegen werden Wälder gerodet und Kleinbauern vertrieben, arbeiten Kaffeepflückerinnen für einen Hungerlohn, stehen Arbeiter knietief in Chemikalien und arbeiten Kinder als Sklaven in Minen. Wenn ich Fluchtursachen bekämpfen will, kann ich sofort damit anfangen – bei mir.
Wie selbstverständlich bete ich „unser tägliches Brot gib uns heute“ und denke dankbar an mich und meine Familie, dass wir hier mehr als genug zum Leben haben. Und bleib hängen am „unser“. Halt! Sind die etwa alle mitgemeint? Gerade die, denen etwas zum Leben fehlt. Was bete ich da? Bitte ich wirklich darum, den Zusammenhang zwischen meinen und den Bedürfnissen anderer auf dieser Welt tiefer zu verstehen?
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