„Wir – Mitten im Leben“ ungewöhnliche Gottesdienste für Erwachsene in St. Andreas
10 Jahre war sie alt, als das Haus ihrer Familie durch einen Bombeneinschlag zerstört wurde. Der Vater war irgendwo im Krieg und das Mädchen war mit ihrer Schwester und ihrer Mutter allein auf sich gestellt. Sie mussten fliehen. Ihr weniges Hab und Gut transportierten sie auf einem Handkarren mit sich. Soldaten interessierten sich ab und zu für den Inhalt des Handkarrens und konfiszierten brauchbare Gegenstände wie die Kameras des Vaters. Bei dem Durcheinander der vielen Menschen auf der Flucht fürchtete sie ständig, ihre Mutter und ihre Schwester aus den Augen zu verlieren. Auch die immer wieder vorkommenden Angriffe von Flugzeugen machten ihr Angst. Der infernalische Krach der Bomben, die in die Häuser einschlugen, der Feuerschein der brennenden Dörfer und Städte am Horizont waren für das Kind faszinierend und ängstigend zugleich.
Sehr bald erzeugte alleine das Geräusch der sich von Ferne nähernden Flugzeuge dieses Angstgefühl. Ihre Flucht endete zunächst in einem provisorischen Zeltlager. Nach einigen Monaten dort schaffte man sie in Zügen, die eher Viehtransporter glichen, in feste Unterkünfte. Sie kamen auf einen Gutshof. Es war Winter, und das Zimmer, in dem sie wohnten, hatte keine Heizung. Auf den Fensterscheiben und auf den Innenwänden sah man blankes Eis. Wenigstens hatten sie genug zu essen und fühlten sich einigermaßen sicher dort. Nach zwei Jahren war der Krieg zu Ende und sie konnten wieder in ihre Heimat zurück. Dort waren die meisten Häuser zerstört und mussten neu aufgebaut werden.
Viele Jahre danach noch quälten sie nachts Träume, in denen die Angst sie wieder gefangen hielt. Oft träumte sie auch davon, fliehen zu müssen und mit dem Packen ihrer Sachen nicht schnell genug fertig zu werden. Noch Jahre danach, als sie längst eine eigene Familie hatten, nahm sie das in ihren Alltag ihrer Familie mit, diese Angst nicht fertig zu werden und die Angst bei Festen mit vielen Menschen oder in großen Städten, ihre Kinder in der Menschenmenge zu verlieren.
Diese Geschichte ist mehr als 70 Jahre alt und doch immer noch aktuell. Sie passiert so oder ähnlich überall auf der Welt, wo Krieg herrscht. Für uns, die jetzt 70 Jahre in Frieden leben, ist das fast unvorstellbar, auch wenn wir jeden Tag von Kriegen aus den Fernsehnachrichten erfahren. Die Bilder sind dort trotz der modernen Übertragungstechnik weit weg und berühren uns kaum. Sie sind zur erschreckenden Normalität geworden. Nur dann, wenn uns jemand gegenüber sitzt und seine persönliche Geschichte von Krieg, Hunger und Gewalt erzählt, wird das Geschehene greifbar, und wir bekommen eine Ahnung von dem Leid, das diese Menschen erfahren haben.
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (Levitikus 19, 33- 34)
25. September // 20 Uhr // St. Andreas
In unserem nächsten Gottesdienst für Erwachsene am 25. September, 20 Uhr im Pfarrheim St. Andreas werden wir solche Geschichten hören: Alte und neue Geschichten, von Menschen aus der Bibel, von alten Menschen, die als Kind den 2. Weltkrieg erfahren haben und von Menschen heute und ihrer Fluchtgeschichte.
Nach einer Gesprächs- und Erzählrunde und einem kurzen Gottesdienst klingt der Abend – wie immer – bei Brot und Wein/Wasser aus.