Der Betroffenenrat Bistum Aachen, der von sexualiserter Gewalt durch Priester und Mitarbeiter*innen der Kirche betroffenen Menschen, lädt am Montag dem 18.11. um 17:30 Uhr zu einer Protestkundgebung am Elisenbrunnen ein. Diesen Aufruf unterstützen kirchliche Räte und Verbände. Auch Bischof Dr. Dieser wird daran teilnehmen und sich den Fragen und dem Vorwurf stellen, dass die Einrede der Verjährung durch das Bistum Aachen unmoralisch sei. Aus diesem Grund haben die Initiatoren ein Zitat von Papst Franziskus als Motto gewählt: „Ein Grund, sich zu schämen.“
In seinem Aufruf zur Kundgebung schreibt der Betroffenenrat: „Nach der Einrede der Verjährung durch das Bistum Aachen folgen weitere Bistümer diesem
schlechten Beispiel. Das ist besonders bedauerlich, da Bischof Dr. Helmut Dieser in mehreren Gesprächen Betroffene zur Klage aufgefordert hat und dabei auch mitteilte, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Der Betroffenenrat hält die Einrede der Verjährung für unmoralisch.
Mitglieder des Betroffenenrates werden bei der Veranstaltung auch das sogenannte Aachener Modell vorstellen. Dieses Verfahren einer außergerichtlichen Einigung zur Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes wurde durch den Betroffenenrat entwickelt. Es wurde in etwa zehnstündigen Verhandlungen mit dem ehemaligen Generalvikar diskutiert und letztlich durch das Bistum ohne Begründung abgelehnt. Die Betroffenen und ihre Vertretung hoffen auf eine rege Teilnahme.“
Das Bistum Aachen klärt in einer ausführlichen Stellungnahme noch einmal über die Fakten und Hintergründe auf:
Aufarbeitung ist ein wichtiges Thema für das Bistum Aachen.
Die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt im Bistum Aachen und ihre Betroffenenorientierung stehen im Mittelpunkt sämtlicher Maßnahmen, die das Bistum Aachen seit der Veröffentlichung des unabhängigen Gutachtens durch die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl Rechtsanwälte im Jahr 2020 umgesetzt hat.
Bis Ende Oktober 2024 hat das Bistum Aachen Anerkennungsleistungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro an Betroffene gezahlt. Betroffene können durch das niedrigschwellige Verfahren der Deutschen Bischofskonferenz eine Zahlung in Anerkennung des Leids erhalten. Die Anträge werden von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) in Bonn lediglich auf Plausibilität geprüft. Die UKA entscheidet über die Anträge auf Anerkennung des Leids und legt die Leistungshöhe fest. Ein positiver Bescheid der UKA gilt für das Bistum Aachen als hinreichender Beleg, dass der Beschuldigte ein mutmaßlicher Täter ist. Die Zahlung von Leistungen erfolgt durch das Bistum Aachen.
Jedem Betroffenen steht zusätzlich der Klageweg offen. Im Zivilprozess ermittelt das Gericht nicht selbst und auch die Staatsanwaltschaft nicht. Der Kläger oder die Klägerin muss selbst beweisen, was geschehen ist und worauf sich die Ansprüche stützen. Am Ende des Verfahrens steht das Urteil des Gerichts.
Wie viele Klagen gab es vor dem Landgericht Aachen und wie ist der aktuelle Stand?
Von den insgesamt drei Schadensersatzprozessen vor dem Landgericht Aachen hat das Bistum Aachen in zwei Fällen die vom unabhängigen Landgericht vorgeschlagene Einigung über einen Schadensersatz angenommen. In einem Fall hat der Kläger/Betroffene selbst diesen Vergleich nicht angenommen. Das Bistum hätte die Vergleichsvorschläge in allen Fällen ablehnen können, um bei der Fortführung des Gerichtsverfahrens die Einrede der Verjährung aufrecht zu erhalten. Dies ist nicht geschehen. Die Annahme von zwei Vergleichsvorschlägen ist erfolgt, um den Betroffenen eine Beweisführung für die angeführten Taten zu ersparen. Im dritten Verfahren gab es gute Gründe, die Einrede der Verjährung aufrechtzuerhalten. Einzelheiten dazu sind aufgrund des laufenden Verfahrens in der Öffentlichkeit nicht geboten. Das Urteil des Langerichtes ist aber auf der Seite des Landgerichts hier nachzulesen.
Warum hat das Bistum Aachen die Einrede der Verjährung erhoben?
Mit der Einrede auf Verjährung (Klageerwiderung) war das Angebot eines Mediationsverfahrens verbunden. Damit bestand aus Sicht des Bistums Aachen die Chance, den Betroffenen eine öffentliche Verhandlung zu ersparen. Über eine Einigung – Gericht und Kläger müssen dem Verfahren zustimmen – entscheidet dann ein unabhängiger Mediationsrichter. Dem hätten zunächst Gericht und auch die Kläger zustimmen müssen. Das Aachener Gericht konnte das Mediationsverfahren aufgrund Personalmangels nicht anbieten.
Wie kamen die Entscheidungen zustande?
Das aktuelle Kirchenrecht sieht vor, dass der Bischof bei bedeutenden Rechtsgeschäften über 100.000 Euro die Beispruchsgremien Vermögensrat und Konsultorenkollegium anhören muss. Der Bischof benötigt für die Vornahme von Rechtsgeschäften nach c. 1295 die Zustimmung beider Gremien, nach c. 1277 die Anhörung beider Gremien.
Die Abwägung und Entscheidung über die Vorgehensweisen des Bischofs und des Bistums mit seinen gesetzlichen Vertretern erforderten deshalb in allen drei Fällen aufgrund einer Schadenssumme von jeweils über 100.000 Euro die Zustimmung beider Gremien. Diese beiden Aufsichtsgremien haben jede einzelne Klage in ihrer Besonderheit unter verschiedenen Gesichtspunkten gewürdigt. Jeder Fall ist anders. Und deshalb haben die Gremien – jeweils beraten durch die Justitiarin und den Prozessbevollmächtigten des Bistums – unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts unabhängig voneinander, aber gleichlautend hinsichtlich der gewählten Vorgehensweise entschieden. Damit wurden in zwei Fällen die gerichtlichen Vergleichsvorschläge angenommen. Bischof Helmut Dieser würdigt die Verantwortung beider Gremien und ist an diese Entscheidung gebunden. Dies ist nicht zu verwechseln mit einer Selbstbindung, zu der sich der Bischof im
Rahmen synodaler Entscheidungen verpflichtet.
Was ist der Vermögensrat?
Beim Vermögensrat, der sich aus Mitgliedern des Kirchen- und Wirtschaftssteuerrates bildet, handelt es sich um ein demokratisch legitimiertes Gremium, das von Kirchenmitgliedern gewählt ist.
Was ist das Konsultorenkollegium?
Das Konsultorenkollegium besteht aus Mitgliedern des Domkapitels.
Wie viele Betroffene sind bekannt?
Zum Stichtag 30. September 2024 sind dem Bistum Aachen 377 Betroffene namentlich bekannt. Damit ist die Zahl der namentlich bekannten Betroffenen gegenüber dem 2. Quartal 2024 um sieben gestiegen. Zurückzuführen ist der Anstieg auf die im Quartal eingegangenen Erstanträge auf Anerkennung des Leids.
Wie viele Anträge auf Anerkennung des Leids gibt es?
179 Erstanträge auf Anerkennung des Leids wurden seit der Einrichtung des Verfahrens durch die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2011 bis zum 30. September 2024 beim Bistum Aachen gestellt. Davon wurden bislang insgesamt 144 Anträge beschieden. Insgesamt 65 Betroffene haben sich nach dem öffentlichen Aufruf an Betroffene vom 18. Oktober 2023 gemeldet. 28 davon haben einen Antrag auf Anerkennung des Leids gestellt. Im dritten Quartal 2024 sind 15 Erstanträge auf Anerkennung des Leids eingegangen und an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen weitergeleitet worden.
Wie viele Täter, mutmaßliche Täter und Beschuldigte sind dem Bistum namentlich bekannt?
148 Täter, mutmaßliche Täter und Beschuldigte sind dem Bistum namentlich bekannt. Darunter befinden sich 134 Kleriker (Pfarrer, Kapläne, Patres, Diakone) und eine Ordensschwester. 13 sind Nicht-Kleriker wie Erzieher, Hausmeister, Küster, Organisten, Religionslehrer oder ehrenamtlich Tätige.
Welche Zahlungen wurden bisher geleistet?
Bis Ende Oktober 2024 hat das Bistum Aachen Anerkennungsleistungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro an Betroffene bezahlt. Höchstgrenzen für die Anerkennungsleistungen von Leid gibt es nicht.
Weitere Infos zum Thema: https://www.bistum-aachen.de/Aufarbeitung/start/index.html
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